Mein blindes Leben: Beliebte Interviewfragen an mich

Nadine leitet auf dem Boden. Sie hat ein Bein ausgestreckt und eines hochgestellt. Sie trägt eine grün gemusterte leggings und ein schwarzes top mit dunkelroten Trägern. Sie trägt eine Brille mit blauen Gläsern jnd hat Türkise Haare. Sie sitzt auf einem Steinborn. Eine Hand auf dem Boden abgestützt jnd dir andere über das hochgestellte Knie gelegt.

Mein blindes Leben: Als Aktivistin landen häufig Anfragen zu meiner Aufklärungsarbeit und meiner Perspektive als behinderte Person in meinem Postfach. Sie beziehen sich auf Blindheit oder LHON. Verschiedene Fragen aus Interviews und deren Antworten habe ich euch hier zusammengefasst.

Inhaltsverzeichnis

1. Mein blindes Leben: Gibt es einen Unterschied zwischen „sehbehindert“ und „blind“?

Für mich und für die Beantragung von Hilfen oder Hilfsmitteln macht es einen großen Unterschied, ob ich blind oder sehbehindert bin. Denn die Hilfsmittel, die ich als blinde Person benötige unterscheiden sich von einer Person die sehbehindert ist. Beispielsweise würde eine sehbehinderte Person keinen Anspruch auf einen Blindenführhund haben.

Laut A.6.a der Anlage zu § 2 VersMedVO gilt man ab einem Visus von 30 Prozent als sehbehindert, ab einem Visus von 5% als hochgradig sehbehindert und ab einem Visus von 2% als blind. Hier können noch weitere Faktoren wie das Gesichtsfeld neben dem Visus eine Rolle spielen.

2. Mein blindes Leben: Was ist LHON?

LHON oder auch die Lebersche hereditäre Optikus-Neuropathie ist eine seltene, mitochondriale Erkrankung, die den Sehnerv betrifft. Innerhalb kurzer Zeit führt LHON zu einem starken Sehverlust, der das zentrale Sehen betrifft. Symptome die auftreten können sind: Blendempfindlichkeit und Anomalien beim Erkennen von Farben. Beginnend auf einem Auge, betrifft sie innerhalb kurzer Zeit auch das 2. und kann zur Erblindung führen. Männer sind häufiger als Frauen betroffen. Bei mir verlief die LHON schmerzhaft und ist es bis heute. Die 3 häufigsten Mutationen bei LHON sind: 11778; 3460 und 14484. In seltenen (!!!) Fällen kommt es zu einer spontanen Verbesserung. Laut dem UKM Münster kommen 40-80 Neupatient*innen pro Jahr hinzu.

LHON wird von der Mutter an die Kinder weitervererbt. Somit bin ich Genträgerin und betroffen von LHON. Jedoch muss es nicht zwangsläufig sein, dass die Symptome bei allen Kindern ausbrechen. Mein jüngerer Bruder hat bis heute keinen Ausbruch der Symptome gehabt.

3. Mein blindes Leben: Wie habe ich die erste Zeit, diese Umstellung, damals erlebt?

Von der sehenden Zeit in mein blindes Leben war eine Umstellung in allen Bereichen. Ich musste viel Neues lernen. Von wie ich meinen Alltag gestalte, bis wie ich mit Hilfsmitteln umgehe. Ich habe ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert. In diesem habe ich gelernt, mich mit Sehrest, Hilfsmitteln wie dem weißen Stock und den vorhandenen Sinnen zu orientieren. Ich habe Brailleschrift gelernt und das 10-Fingersystem. Ich musste die Schule wechseln und auf einer Förderschule mein Abitur nachholen. Auch in meinem privaten Umfeld gab es viele Umstellungen. Die vielen Umstellungen waren nicht einfach. Genauso wenig wie die Kämpfe mit Ämtern und Krankenkassen. Es war anstrengend und viel.

4. Stelle ich mir Dinge bildlich im Kopf vor?

Oftmals ja. Ich bin sehend aufgewachsen und habe viele Eindrücke über die Jahre sammeln können. Vieles davon setzt mein Gehirn für mein blindes Leben zusammen. Aber mittlerweile spielen für mich auch akustische Merkmale eine Rolle. Vor allem, wenn es um das Thema Orientierung geht.

Nadine sitzt im grünen an einem Tisch. Rund herum stehen 3 we4itere Stühle. An ein Geländer im Hintergrund ist ihr Langstock gelehnt. Sie trägt ein grau karriertes Kleid und hat grüne Haare.
Blidnheit: Auwirkungen, Bedeutung und Grüne

5. Ich model und cosplaye. Aber fühle ich mich da als behinderte Person ernst genommen?

Nein. Natürlich passieren auf Conventions dieselben Dinge, die auch in meinem Alltag passieren. Statt mit mir zu reden, redet man mit Freund*innen und fragt diese, ob man mich fotografieren darf. Mir wird meine Behinderung nicht geglaubt und mein Langstock wird für eine Verkleidung gehalten. Ich führe immer wieder Diskussionen darüber, dass es nicht okay ist, wenn sich nicht-behinderte Menschen Hilfsmittel zur Verkleidung bedienen. Sei es einen Langstock oder einen Rollstuhl. In solchen Momenten wundert es mich teilweise auch nicht, wenn Menschen nicht unterscheiden können welche Person nun verkleidet ist und welche nicht.

Wenn ich ein Einzelshooting habe, fühle ich mich oft wohler. Viele wissen, dass ich behindert und neurodivergent bin, und machen sich vorab Gedanken. Wir besprechen, wie wir ein Shooting für beide Seiten gut gestalten. Auch habe ich auf meiner Seite eine Infopost, der einmal abdeckt, wie ein Shooting mit mir abläuft und auf was ich angewiesen bin. Für viele ist dies eine gute Hilfestellung. Viele merken auch, dass sie selbst mit ihren Vorurteilen einem Shooting im Weg stehen. Nachdem sie ihre Vorurteile hinterfragt haben, merken sie oft, dass nicht ich das „Problem“ bin, wenn kein Shooting zu Stande kommt. Es gibt aber auch viele Anfragen, die sich im Sand verlaufen, wenn herauskommt, dass ich behindert bin.

6. Was müsste sich, bezogen auf Inklusion, noch ganz dringend ändern? (Auch bezogen auf Frage 5).

Sie müsste deutlich mehr stattfinden. Wir müssten nicht nur darüber reden, sondern sie alle aktiv gestalten. Wir müssen behinderte Menschen von Anfang an in allen Bereichen mitbedenken. Fehlendes Geld oder fehlende Zeit können keine Entschuldigung für fehlende Barrierefreiheit sein. Und vor allem können wir nicht über Menschen mit Behinderung reden, sondern sollten mit ihnen reden und sie mitgestalten lassen. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit und Begegnungen. Ich fände es einen guten Schritt, wenn Barrierefreiheit verpflichtend wäre.

Wir können aber auch alle Verbündete für behinderte Menschen sein. Also Allys.

Beispielsweise, indem man sich mit Ableismus beschäftigt und Aktivist*innen auf Social-Media folgt. Es ist wichtig, dass wir Betroffenen zuhören.

Auf Conventions wäre es schon einmal schön, wenn nicht-behinderte Personen sich nicht Hilfsmitteln bedienen würden. Vielleicht hätte ich dann auch weniger das Gefühl, mich ständig beweisen und rechtfertigen zu müssen.

7. Wie sollten sehende Menschen mit blinden Menschen in der Öffentlichkeit am besten umgehen? (bezogen auf ungefragt oder „falsch“ helfen, da beidseitig bestimmt oft Unsicherheit herrscht. Gerne eigene Erfahrungen mitteilen, aufklären)

Das ist gar nicht so kompliziert, wie man es sich vielleicht vorstellt. Erstmal fragt man, ob die Person Hilfe benötigt. Wenn die Person ja sagt, dann fragt man, wie man helfen kann oder die Person gibt dies vor. Braucht die Person keine Hilfe, dann wird sie die Hilfe ablehnen. Das muss aber auch okay sein.

Was vor allen Dingen nicht geht ist, dass man einfach angefasst wird, oder Hilfsmittel bewegt werden. Für mich als blinde Person ist das immer wieder ein Schockmoment, aus dem Nichts heraus angefasst zu werden und irgendwo hingebracht zu werden. Es hilft mir nicht, wenn jemand mit meinem Stock pendelt oder ihn woanders hinstellt. So ein Verhalten ist meist zwar gut gemeint, aber übergriffig. Meinen Stock selbst zu bewegen, sorgt dafür, dass ich Hindernisse oder Ähnliches nicht wahrnehmen kann. Ich werde nicht gerne angefasst. Oft reagieren Menschen empört, wenn ich mich einfach in solchen Momenten losreiße. Aber dies ist auch zu meinem eigenen Schutz. Ich weiß nicht, wer da vor mir steht und wohin mich die Person ziehen möchte.

Einige Menschen können damit gut umgehen, wenn ich sage, dass ich keine Hilfe benötige, andere reagieren verletzt. Oft wird als Argument genommen, „ich habe mal eine Person gefragt und die hat dann total patzig reagiert“. Ja, auch behinderte Menschen haben mal einen schlechten Tag. Ich finde es persönlich total anstrengend, immer super freundlich sein zu müssen, weil ich Angst habe, das die Person sonst nie wieder behinderten Menschen helfen möchte. Denn behinderte Menschen werden zu oft als eine Gruppe gesehen. Denn dann heißt es immer gleich „Die Behinderten sind so und so“ oder es kommt das Argument „ich habe mal eine Person gefragt…“. Als würde diese Person die Behinderten-Community repräsentieren. Fun-Fact: Behinderte Menschen sind auch Individuen.

8. Wie konsumiere ich eigentlich Medien/Social Media/Instagram? Habe ich spezielle Tools?

Ich nutze viel und gerne mein Smartphone. Es ist sozusagen mein Hilfsmittel Nummer 1 im Alltag geworden. Mittlerweile besitzen fast alle Smartphones Bedienungshilfen. Sei es eine Lupe, Zoom, Kontraste, Farben umkehren oder VoiceOver. VoiceOver ist ein Screenreader, der mir alles vorliest. Alles, was Sehende an ihrem Smartphone wahrnehmen können, wird mir vorgelesen. Auch Smiley.

So kann ich mir nicht nur Texte vorlesen lassen, sondern in einigen Fällen auch den Inhalt der Bilder. Hierfür ist es wichtig, dass Nutzer*innen die sogenannten Alternativtexte nutzen.

Bei Instagram findet man diese unter den erweiterten Einstellungen. In diesem Feld schreibt man dann mit eigenen Worten, was auf dem Bild zu sehen ist. Stellt euch vor, ihr würdet das Bild einer Person am Telefon beschreiben. Ihr beschreibt das Bild grob und geht dann immer weiter ins Detail. Eigene Wertungen sollten aus der Beschreibung rausgelassen werden. Diese hat dort nichts zu suchen.

Deswegen ist es wichtig, dass wir auf Barrierefreiheit im Internet und auch auf Social Media achten. Dafür sollten wir Alternativtexte verwenden, Untertitel, Videobeschreibungen und die richtigen Kontraste.  Bei vielen Menschen schläft dies leider wieder nach dem 2. Post ein. Auch wenn nun viele denken, „Mit folgt keine Person, die eine Behinderung hat“. Nun, wenn man diese Gruppen ausschließt, kann das natürlich passieren. Und je regelmäßiger wir diese Einstellungen zur Barrierefreiheit nutzen, desto mehr wird es eine Routine.

9. Was noch:

Es ist so wichtig, auf Sprache zu achten. Sprache ist ein mächtiges Instrument und bildet unser Denken. Es macht einen großen Unterschied, ob wir sagen, XY leidet an der Diagnose oder hat die Diagnose.

Seid Allys. Macht auf fehlende Barrierefreiheit aufmerksam oder wenn jemand das Wort „behindert“ missbraucht. „Behindert“ ist eine Selbstbezeichnung ohne Wertung.

Gib meiner Arbeit Flügel

Was genau kann eure Hilfe eigentlich bewirken?

Ich bin eine Inklusions-Aktivistin und um weiterhin auf diesem Blog aktiv zu bleiben, recherchieren und schreiben zu können, sowie um meine Aufklärungsarbeit fortzuführen, benötige ich eure Unterstützung. Meine Arbeit erfordert regelmäßige Aufklärungsarbeit, die oft mit Reisen, Interviews und der Bestellung von Büchern für Weiterbildungen verbunden ist. Stöbert durch meine aufklärenden und bewusstseinsfördernden Arbeiten auf verschiedenen Social-Media-Plattformen.

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2 Antworten zu „Mein blindes Leben: Beliebte Interviewfragen an mich“

  1. Hallo Nadine,

    ich habe deinen Beitrag auf Facebook gefunden und er sprach mich direkt an. Bis heute kannte ich die Erkrankung LHON nicht.

    Ich selbst bin Brillenträgerin und habe auch ziemlich schlechte Augen.
    Die Krankenkassen sind gegen eine Bezahlung einer Augenlaser-OP.

    Statt das die Krankenkassen helfen, lehnen sie eine Besserung ab. So kommt es mir jedenfalls vor. Ich finde ab einer bestimmten Minuszahl sollten die Krankenkassen bereit sein zu zahlen oder zumindest einen Teil.

    Ich war bisher auch immer unsicher, wie ich mit Menschen umgehen soll, die halt eine Einschränkung haben. Ich sage bewusst Einschränkung, da das Wort „Behindert“ oftmals negativ behaftet ist.

    Ich finde es beeindruckend, wie du mit deiner Einschränkung umgehst und das du aufklären möchtest.

    Das mit den alternativen Bildtexten wusste ich tatsächlich nicht. Ich dachte immer, die wären dafür da, sollte das Bild mal nicht funktionieren. Ich werde es auf meinen Blog in Zukunft beherzigen.

    Vielen Dank für die Aufklärung und ich wünsche dir noch eine schöne Woche.

    Liebe Grüße, Anja

    1. Hallo und vielen Dank für deine Offenheit. Ich würde es jedoch begrüßen wenn du keinen euphemisms verwenden würdest sondern das Wort „behindert“. Es handelt sich hierbei um eine Selbstbezeichnung. Ich bin behindert. Gerade nicht-behinderte Menschen sollten nicht auf Euphemismen ausweichen.
      Ich lebe mit meiner Behinderung so wie andere ohne Behinderung leben.
      Es freut mich, dass du nun bewusster mit Alternativtexten umgehen möchtest

      Viele Grüße
      Nadine

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