Mode und Beauty: Mein blindes Leben

Nadine ist bis zur Hüfte zu sehen. Sie trägt ein graues bauchfreies Oberteil und dazu passende Armstulpen. Dazu eine dunel blaue Jeans. Sie hat lila Haare und trägt roten Lippenstift. Ihre Hände befinden sie am Kragen ihres Oberteils.

Gerade für mich als Model mit Behinderung spielen Mode und Beauty eine große Rolle. Für mich gehören diese Themen zu meiner Identität, zu meinem Ausdruck und zu meinem Hobby. Make-Up zu tragen ist ein stereotypes feminines Verhalten, dessen Träger*innen wir oftmals Kompetenzen absprechen. Doch das Tragen von Lippenstift macht mich nicht weniger kompetent. Welche Bedeutung es jedoch für mich hat und welche Rolle es für mich als blinde Person spielt, erzähle ich euch in diesem Beitrag.

Mode und Beauty: Blindheit und eigener Stil

Komplett tätowiert, bunte Haare, ein alternativer Kleidungsstil, Lippenstift, lackierte Fingernägel in mindestens 2 verschiedenen Tönen und gepierct. Ein Blick auf mich gibt wahrscheinlich nicht das stereotypische Bild einer blinden Person wieder. Dafür aber das Bild einer Person, die sich wohlfühlt. Dazu gehört, dass ich mich mit meinem Stil so ausleben und ausdrücken kann, wie ich es möchte. Für mich bedeutet das Selbstbestimmung. Ich möchte mit meinem Stil meiner Individualität Ausdruck verleihen und mich ausprobieren. Ich liebe es, neue Haarfarben auszuprobieren und mich selbst immer wieder neu zu entdecken.

Verwunderung, weil es mir egal sein könnte, wie ich aussehe. Das würde bedeuten, dass es mir egal sein könnte, wie ich zu mir und meinem Körper stehe. Doch das Gefühl, meinen Stil zu leben, das Selbstbewusstsein, das mir Tattoos oder Lippenstift verleiht und der Spaß, den es macht, passende Farben für die Nägel zu suchen, tue ich für mich. Für mich zählt das unter Selbstfürsorge. Da dies der Punkt ist, wie ich mich wohlfühle und wie ich „Ich“ bin, bin ich es mir wert, mich um mich zu kümmern. Für das Gefühl, dass all dies in mir auslöst. Wenn ich mich wohlfühle, habe ich ein ganz anderes Auftreten und werde auch von Personen anders wahrgenommen. Sich wohlfühlen verleiht Selbstbewusstsein. Mode und Beauty spielt für mich also eine große Rolle. Außerdem kann mich meine Umwelt trotzdem wahrnehmen.

Als Model habe ich den Umgang mit Mode und Beauty lieben gelernt und ihn zu einem Bestandteil in meinem Alltag eingebaut.

Letztendlich möchte ich mich gut fühlen. Dazu gehört, dass ich mich auslebe und zeige, wie ich bin. Und angestarrt werde ich sowieso, weil ich behindert bin. Dann haben sie durch meine Tattoos und bunten Haare mal was anderes zum Schauen.

Dafür ist es wichtig, dass Onlineshops barrierefrei zugänglich sind. Sie benötigen Alternativtexte, Angaben über Größe, Stil, Material, Hinweise zur Reinigung und Farbe. Das sorgt dafür, dass ich meinem Stil entsprechend Kleidung selbstbestimmt einkaufen kann.

Es hat für mich lange gedauert, an diesem Punkt zu kommen, dass mein Körper und ich eine Einheit werden. Lange begleitete mich ein ungesundes Essverhalten und ein verzerrtes Bild von mir, das mit Essensverweigerung gerichtet werden sollte.

Mode und Beauty: wie finde ich meinen Kleidungsstil

Bunte Haare, Tattoos, Piercings – natürlich ist auch mein Kleidungsstil alternativ. Zur Teeniezeit habe ich schon immer Stulpen oder fingerlose Handschuhe getragen. Und vor allem: Hut, Cap oder Mütze. Das war natürlich noch vor der Zeit meiner Erblindung.

Ich trage fast nur Leggings in verschiedensten Mustern und am liebsten mit Netzeinsatz an den Oberschenkeln. Ich fühle mich in Leggings einfach 1000-mal wohler als in Hosen. Sie passen sich perfekt an meinen Körper an.

Und mit diesem Kombinierer ich alles Mögliche. Schwarze Tops lassen sich idealerweise immer tragen. Und schwarz und bunte Haare gehen immer. Oft trage ich im Sommer bauchfrei. Ansonsten liebe ich es extravagant. Auch meine Chucks dürfen gerne ausgefallene Muster oder Farben haben. Natürlich dürfen One-Shoulder, Spitze oder Netzeinsatz nicht fehlen. Alles im Stil Gothic bis Rockabilly.

Ich trage einfach das in dem ich mich wohlfühle. Einfach das schreit; „Das ist Nadine.“ Ich denke so findet man seinen eigenen Stil. Einfach ausprobieren, bis man dieses Gefühl von „Das ist es“ hat.

Mode und Beauty: Stil im Kleiderschrank finden

Aber der eigene Stil muss nicht nur für sich gefunden werden und in einem Geschäft, sondern am Ende auch wieder im Kleiderschrank. Ich nehme nicht nur ¾ unseres Kleiderschrankes ein, weil ich einige Klamotten habe, sondern weil ich diese auch sortiere, damit ich diese einfacher wieder finde. Ich habe 4 Schubladen.

  • Socken
  • BHs, Unterwäsche
  • Leggings
  • Mützen, Handschuhe, Schals

Mein Kleiderschrank ist von links nach rechts wie folgt aufgeteilt:

  • Pullover
  • Longsleeves
  • Blusen und ¾ Arm
  • T-Shirts
  • Tops

In der Ablage darunter befinden sich Hosen, kurze Hosen, Röcke (Warum dieser Stapel existiert, weiß ich bis heute nicht) und Reste, die es nicht mehr auf die Stange geschafft haben.

Für mich ist es wichtig, dass die Kleidungsstücke an einem Bügel hängen, statt gefaltet aufeinandergestapelt sind. Es vereinfacht mir den Überblick. Ich kann schnell mit den Händen durch die Kleidungsstücke tasten und finde schneller das, was ich suche, als wenn ich jedes einzelne Stück auseinanderfalten müsste. Vor allem graut es mir vor dem Aufräumen danach, wenn ich etwas suche.

Dabei fühlen sich verschiedene Kleidungsstücke unterschiedlich an. Mal ist es Aufdruck mal das Material, der Schnitt, Spitze oder ein besonderer Kragen. Anhand von verschiedenen Merkmalen kann ich das Kleidungsstück finden, das ich suche.

Außerdem gelte ich als blind und habe Restsehvermögen. Ich bin nicht gut darin Farben zu erkennen, aber kann helle von dunklen Stoffen unterscheiden. Auch, wenn mein Kleiderschrank eher dunkel (schwarz) hergibt.

Nadine trägt ein Khaki Kleid mit weißer Schrift und schwarzen Mustern. Es gefindet sich eine Schnürung zwischen den Brüsten. Nadine hat lila Haare und rote LIppen. Die hände sind in die Hüfte gestemmt. Im Hintergrund sieht man orangene Sessel.
Mode und Beauty. Foto by Manfred Lindekamp

Mode und Beauty: Blind schminken, stylen und kleiden

Es ist sehr bezeichnend, dass man mich zuerst fragt, ob ich eine Assistenz habe, die sich um diese Aufgaben kümmert, als zu denken, dass ich dies eigenständig erledige. Dabei ist mir die Selbstbestimmung nicht nur als behindertes Model, sondern auch als Person wichtig. Ein bisschen mehr über das Thema Mode und Beauty und welche Unterstützung ich wie bekomme folgt in diesem Abschnitt.

Kleidung: Viele Oberteile lassen sich überaus gut erfühlen, da jedes Oberteil von der Beschaffenheit anders ist. Außerdem ist mein Kleiderschrank sortiert nach T-Shirt, Tops und Longsleeves.

Beim Shoppen konzentriere ich mich auf einen Online-Shop. Online kann ich mir Produkte beschreiben lassen oder nochmals eine 2. Meinung einholen. Dies ist für mich deutlich barrierefreier, als von so vielen Reizen in einem Einkaufszentrum überflutet zu werden und mich mit dem Langstock durch die Abteilungen zu kämpfen.

In Geschäfte gehe ich nicht allein. Meine beste Shoppingbegleitung ist mein Freund, den ich auch oft verfluche. Er findet einfach viel zu viele Teile, die mir stehen.

Haare: Für mich waren lange Haare nie wirklich akzeptabel. Sie bedeuten Arbeit, frisieren kann ich nicht, erschweren das Tragen von Perücken und sie sind einfach überall und wenn der Wind sie erfasst, dann peitschen sie im Gesicht und stehen überall ab. Heute stehe ich auf und wuschle mir einmal mit der Hand durch die Haare. Da ich spontan auf die Idee komme mir die Haare zu färben, sind kurze Haare definitiv günstiger. Ich mag es nicht, wenn mich Menschen anfassen, ist mein Partner die Person, die mir die Haare färbt.

Make-Up: Für den Kauf von Foundation lasse ich mich gerne beraten. Bei Nagellack und Lippenstift ist es mir relativ, wenn ich nicht gerade eine bestimmte Farbe haben will, denn von den beiden Produkten kann ich nicht genug haben. Ich liebe Lippenstift und lackierte Fingernägel mit mindestens 2 verschiedenen Farben. Dabei trage ich mein Make-Up selbst auf. Bei besonderen Anlässen wie Cosplays, bei denen man kreativ mit Wasserfarbe im eigenen Gesicht herummalt, hole ich mir gerne Unterstützung von meinem Partner.

Das alles bedeutet für mich jedoch Selbstbestimmung und Ausdruck meiner Identität. Dazu gehören ebenfalls meine Tattoos, die mir einfach Selbstbewusstsein verleihen. Ich liebe Farbe auf der Haut. Meine Ideen und Körperstellen bespreche ich in Ruhe mit meinem Partner. Ich schätze seine Tipps und Meinungen sehr.

Make-up und Styling: Für den Alltag und Shootings

Ich bin blind, aber warum sollte ich mich nicht schminken. Warum sollte ich mich nicht aufbrezeln und sexy fühlen. Warum kein Lippenstift auftragen und mich gut fühlen? Ja, ich trage gerne Make-up und probiere mich aus. Gerade für Shootings gebe ich mir besonders viel Mühe und versuche immer mehr. Morgens gehört zu meiner Tagesroutine immer eine Hautpflege. Waschgel, Serum und Creme.

Jetzt geht es um mein Make-Up. Hierbei unterscheide ich in meinem Alltags-Make-up, dass ich nicht jeden Tag trage, sondern nur ab und an und mein Make-up für Shootings.

Tages-Make-Up:

Es hat sehr lange gedauert, den richtigen Farbton für die Foundation zu finden. Ich habe mich in Drogerien beraten lassen und den ein oder anderen Farbton gekauft. Mittlerweile bin ich sehr zufrieden mit meinem Make-Up, auch wenn dies eher eine getönte Tagescreme ist. Dadurch pflegt es aber gleichzeitig und sieht natürlich aus. Auch mein Partner hat immer einen Blick auf mein Gesicht und den richtigen Farbton geworfen.

Die Creme habe ich anfangs mit Fingern, dann mit einem Pinsel und mittlerweile mit einem Schwamm einmassiert. Ich gehe mehrfach über die Stellen, um sicherzugehen, dass alles gut verrieben wurde. Danach tusche ich meine Wimpern. Vorsichtig gehe ich zum Winpernkranz und wische langsam nach unten. Dann öffne ich die Augen und wische sie vorsichtig mehrfach nach oben. Schlussendlich nutze ich einen 24-Stunden haltbaren Lippenstift, den ich mir vorsichtig auf die Lippen auftrage. Und fertig ist mein Tages Make-Up

Make-Up für Shootings

Mein Shooting-Make-Up ist etwas aufwendiger. Bevor ich die Creme auftrage, kommt ein Primer zum Einsatz, den ich gründlich im Gesicht verreibe. Einen weiteren Primer verwende ich auf dem Lid. Ich habe das Gefühl, dass der Eyeliner dann sichtbarer wird. Ich nutze einen pastellfarbenen, orangen, flüssigen Lidschatten. Sein Applikator ähnelt dem von Lipgloss. Es lässt sich einfach auftragen und ich fahre über der Haut meines Augapfels entlang. Dann nutze ich einen Eyeliner, der von der Konsistenz einem Wachsmalstift ähnelt und fahre vorsichtig das Lid entlang. Es hat mir geholfen, dass es Freund*innen gemacht haben und ich merkte mir, wo der Stift entlangfuhr. Auch vor der Wimperntusche benutze ich einen Primer für die Wimpern. Letztendlich pudere ich das Ganze noch einmal mit neutralem Puder ab und nutze ein Fixierspray, damit während des Shootings alles da bleibt, wo ich es haben will.

Fertig und das, ohne einen Spiegel im Bad zu blockieren

Mode und Beauty: Blindheit und Tattoos

Wieso nicht? Ja ich gelte als blind, dennoch habe ich eine gewisse Vorstellung davon, wie ich aussehen möchte. Tattoos fand ich schon immer toll. Sie sind eine Möglichkeit sich selbst auszudrücken. Sie können Bedeutungen haben, Geschichten erzählen, Verarbeitungen von Erlebnissen sein oder einfach nur schön aussehen.

Meine Tattoos

Rechts

  • Oberarm: blauer Phönix
  • Handgelenk: Schriftzug „Traumtänzerin“ mit Schmetterling
  • Rippenbogen: Schmetterlinge
  • Oberschenkel: Igel

Links:

  • Oberschenkel: Cartoon Eule mit Kamera
  • Taille: Marienkäfer
  • Rippenbogen: Elfe
  • Handgelenk: Notenschlüssel
  • Unterarm: Reh mit Eule
  • Oberarm: Wolf mit Traumfänger
  • Schulter: Rosa Blumen
  • Schulterblatt: blauer Schmetterling

Sonstiges:

  • Nacken: Schmetterling

Einige der Tattoos könnte ich nicht mal dann sehen, wenn ich sehen könnte. Einige kann ich nicht wahrnehmen andere als Flecken. Aber ich weiß, dass sie da sind und mich begleiten. Dass sie meinen Körper zieren. Das Wissen, dass sich diese Kunstwerke unter meiner Haut befinden, verleiht mir Selbstbewusstsein. Ich liebe es im Sommer sie zeigen zu können. Ich bin stolz auf die Kunstwerke, die ihre Geschichten auf meinem Körper erzählen. Kunstwerke voller Schmerz, Leidenschaft und Liebe. Kunstwerke, die so viel mehr bedeuten als das, was andere sehen können.

Ich gehe immer mit einem Bild im Kopf und meinem Smartphone zu meinem Termin und dann wird es völlig anders. Und trotzdem genau das, was ich will.
Vor allem, weil ich meinem Körper und das Kunstwerk schwer einschätzen kann und in meiner Vorstellung die Proportionen oft nicht stimmen.

Mein Tattostudio kennt mich bereits. Die Zeichnung fertigen die Künstler*innen auf einem Tablet an. Sie erklären mir genau die Zeichnung und was sie vorhaben. Auch wie die Farben aussehen sollen. Ich darf dann auch an dem Tablet vergrößern und selbst versuchen etwas zu erkennen.
Früher habe ich auf diese Vergrößerung die Lupe meines Smartphones gerichtet, da ich aber nichts erkennen konnte habe ich es gelassen. An dieser Stelle gebe ich zu dem Entwurf mein Einverständnis oder eben nicht. Ich sage doch immer einfach „Ja“. und vertraue dem Studio. Denn ich weiß, dass sie ein Auge dafür haben, was zu mir passt und Was nicht. Ich denke das einige Künstler*innen nicht wissen, dass ich den Entwurf nicht verstehe, da ich dafür zu wenig sehe. Dann werde ich nach der Größe des Tattoos gefragt. „So dass es zu mir passt“. Ich kann dies visuell nicht einschätzen und überlasse die Arbeit den Profis.

Dann beginnt erst einmal der schlimmste Teil, dass desinfizieren. Ich finde es super unangenehm. Danach kommt der Wellnessteil. Und am Ende habe ich ein neues Kunstwerk unter der Haut.

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5 Antworten zu „Mode und Beauty: Mein blindes Leben“

  1. Ganz toll! Weiter so!

    Ich bin auch ein Aktivist bzw. Inkluencer und habe ebenfalls einen Blog.

    Lorenzo

    1. Vielen Dank 🙂
      Ich habe schon viel von deinen Beiträgen mitbekommen 🙂

      1. Echt? Darüber freue ich mich sehr! Was hast du denn so gelesen?

        Vielleicht können wir ja unabhängig davon ein Interview für meinem Blog machen. Darauf hätte ich eine große Lust. So kann ich dich auch unterstützen. Was sagst du dazu? Du bist ja für Interviews offen.

        Lorenzo

        1. Das können wir sehr gerne machen 🙂 schrieb mir dazu gerne auf Insta oder eine Mail

          1. Oh danke. Das freut mich sehr! Ich melde mich dazu morgen mal.

            Grüße, Lorenzo

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