In meinem Leben mit Behinderung begegne ich im Alltag Menschen, die mir mit ihren Reaktionen deutlich zeigen, dass ihnen Begegnungen zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen fehlen. Doch als Person, die diese Sätze im Alltag immer wieder hören muss, fällt es schwer davon nicht getroffen, verletzt oder genervt zu sein und dann mit entsprechendem Sarkasmus zu antworten. Einem deutlichen Sarkasmus, der dem Gegenüber den Spiegel vorhalten soll.
Inhaltsverzeichnis
- Leben mit Behinderung: „ja, super“
- Leben mit Behinderung: „Schau mal die ist blind“
- Verleihe meiner Arbeit Flügel
- Was genau kann deine Hilfe bewirken?
- Bleibe auf dem Laufenden
- Neuste Beiträge
Leben mit Behinderung: „ja, super„
„Kriege ich jetzt auch einen Keks?“ oder Inspiration Exploitation genannt.
Vor kurzem war ich zum ersten Mal in einer neuen Arztpraxis. Während meines Verfahrens zur Genehmigung eines Blindenführhundes, wollte und konnte ich meine Ärzt*innen trotz meines Umzuges nicht wechseln. Denn das Gericht stand im Austausch mit meinen Ärzt*innen und ich wusste, dass es auch zu Gutachten kommen würde.
Dies macht natürlich nur dann Sinn, wenn mich die Ärzt*innen kennen und eine vernünftige Einschätzung, die auch zu meinen Gunsten ausfällt, treffen konnten. Denn wie soll mich eine Person einschätzen, die mich gerade erst kennengelernt hat.
Und während ich das erste Mal mit der Kommunikation einerseits sehr zufrieden war, weil mir sehr genau erklärt wurde, was bei der Vorsorgeuntersuchung gerade getan wurde (was ich gerade bei der Untersuchung sehr gut finde, denn immerhin handelt es sich um einen Termin an einer sehr intimen Zone) habe ich mich noch nie so oft wie ein kleines Kind gefühlt oder darauf gewartet gleich einen Keks zu bekommen. Und das nur weil ich das Leben einer Person mit Behinderung lebe.
An dieser Stelle möchte ich dennoch dazu sagen, dass dieses Gefühl nicht zum ersten Mal aufgetreten ist, sondern regelmäßig auftritt, wenn ich mit Inspiration Exploitation konfrontiert werde.
Denn wie oft kommt es vor, dass ich etwas Alltägliches mache oder wie in diesem Beispiel mich auf einen Untersuchungsstuhl setze, Müll in den Mülleimer werfe oder mir Papier aus dem Papierspender ziehe, und ein „ja, super“ daraufhin folgt.
Dieses aber so euphorisch betont, dass es sich anfühlt, als würde die Person einem gegenüber mit einem Kind sprechen oder einen Hund loben. Es fehlt in diesem Moment nur, dass man noch einen Keks zugesteckt bekommt oder freudig die Hände geklatscht wird. Wo werde ich in diesem Moment als erwachsene Person behandelt?
Nein, man zeigt mir sehr deutlich, was man von mir nicht erwartet oder mir zugetraut hätte. Doch es gibt einfach Momente, in denen ich mich selten beschwere. Das sind vor allem die Momente, in denen ein Mensch mit einer Schere an meinen Haaren herum hantiert oder jemand mich untersucht. Dabei ist es nicht selten, dass behinderte Menschen wie kleine Kinder behandelt werden. Vor allem Menschen mit kognitiven Behinderungen oder Lernschwierigkeiten. Wie oft werden sie als „süß“ und lebensfroh wie Kinder wahrgenommen und auch so behandelt, obwohl sie erwachsene Menschen sind. Doch oft werden behinderte Menschen nicht als selbstbestimmte Erwachsene anerkannt. Als könnten sie Themen wie Sexualität, Identität des Geschlechts etc. nicht selbst entscheiden.

Leben mit Behinderung: „Schau mal die ist blind“
Kleine Kinder verbalisieren oft das, was sie sehen. Daran bin ich gewohnt. Sie werten in diesem Moment nicht, sondern machen jeweils auf einen Fakt aufmerksam, mit dem sie in ihrer Realität nicht (oft) konfrontiert sind.
Wenn jedoch Erwachsene leise versuchen sich zu zuflüstern: „Schau mal, die ist blind„, oder auch das Flüstern überspringen, weil sie oft vergessen, dass Blindheit etwas mit dem Sehsinn zu tun hat und nicht mit dem Hörsinn, schnellen meine Augenbrauen schnell nach oben. Ich kann nicht anders als in die Richtung der sprechenden Personen schauen. Eine Handlung, die die Personen teilweise komplett verwirrt. Dennoch zeigt dies deutlich, dass uns Begegnungen zwischen nicht-behinderten und behinderten Menschen fehlen, denn ich fühle mich wie ein seltenes Subjekt, das hinter Glas beobachtet werden kann. Man munkelte schon lange von diesen behinderten Menschen, die unter uns leben. Teilweise warte ich nur auf ein Schild mit der Aufschrift „nicht Füttern oder anfassen.“ Ich fühle mich wie ein Ausstellungsstück hinter Glas. Schaut euch dieses seltene Objekt an: ein behinderter Mensch.
Gleichzeitig frage ich mich, ob ihnen bewusst ist, dass ich sie hören kann. Dass ich mitbekomme, wie sie sich gegenseitig auf mich aufmerksam machen und über mich reden. Ich höre teilweise jedes Wort und kann es mir nicht nehmen lassen, sie mit anstarren komplett aus dem Konzept zu bringen oder darauf hinzuweisen, dass ich sie zwar nicht sehen, aber hören kann. Für mich hat dies alles andere als mit Respekt oder einer Begegnung auf Augenhöhe zu tun, wenn man eine behinderte Person wie ein seltenes Objekt hinter einer Glasscheibe behandelt. Teilweise drehen sich die Menschen noch lange und mehrmals nach mir um oder Personen bleiben quasi vor mir stehen und mustern mich von oben bis unten, bis ihr Blick wieder nach oben zu meinen Augen wandert. Jeder 10. Mensch ist behindert. Wir sollten uns an dieser Stelle eher fragen, warum es so wenig Begegnungen gibt. Vielleicht wäre dies ein guter Punkt, um die Barrierefreiheit in unserer Umgebung zu checken und auf deren Fehlen aufmerksam zu machen oder uns mehr mit den Themen Behinderung, Inklusion und Ableismen zu beschäftigen. Es ist nicht der Moment, sich eine Packung Popcorn zu schnappen und sich seine neueste Entdeckung sehr genau anzuschauen. Vielleicht ist das auch der Moment, in dem wir auch verstehen sollten, wie wichtig nicht nur Begegnungen, sondern auch Repräsentation ist. Repräsentationen von verschiedenen Lebensrealitäten von behinderten Menschen in der Gesellschaft und Film und Medien sind wichtig, um den „erstaunten Blick“ zu verlernen und behinderte Menschen als selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft anzuerkennen.
P.S.: Ist es sinnvoll, als Model Bilder zu verteilen in solchen Momenten, in denen man angestarrt wird. Frage für einen Freund mit viel Erfahrung vor der Kamera. (Joke)
Verleihe meiner Arbeit Flügel
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